Bericht: Walid Abdul-Amir Alwan
Fotos: Ali Al-Jabbouri
Kerbala, wo Imam Hussein mit seinem Bruder Al-Abbass und 72 Mitgliedern aus seiner Familie sowie nahen Anhنngern begraben liegt, ist eine Stadt der Trauer. Jedes Jahr gedenken die Shiiten 102 Kilometer südlich von Bagdad dem Martyrium des Al-Hussein und seiner Verwandten. Die Zeremonien haben eine lange Tradition.
Geschichtlicher Hintergrund
Die erste Trauerfeier fand 40 Tage nach dem Tod Al-Husseins in Kerbala statt (am 20. Safar 61 n. H.). Als seine Familie von Damaskus (Syrien) auf dem Weg nach Mekka war organisierten der Anführer Attawaboun (der Erwartete) und sein WeggefÙ†hrte Salman Ben Sard Al-Khozai eine groÙƒe Trauerfeier bei Kerbala im Jahr 65 n. H. Seit damals wurden jedes Jahr Trauerfeiern abgehalten, die sich auf alle StÙ†dte im Zentral- und Südirak ausweiteten. Sie werden vor allem in den religiÙsen StÙ†dten (Kerbala, Nadschaf und im Bagdader Schiitenviertel Kadhimija) besonders ergreifend gefeiert.
Heutige Trauerfeiern
Die Vorbereitungen für die Zeremonien beginnen am ersten Tag des Muharram. Die Moscheen werden in schwarz gehüllt und schwarze Fahnen sÙ†umen die groÙƒen PrachtstraÙƒen. Besonders in den lÙ†ndlichen Gebieten tragen die meisten Frauen und MÙ†nner schwarze GewÙ†nder, wÙ†hrend man in den stÙ†dtischen Gebieten oft nur ein schwarzes Hemd sieht. Zelte werden aufgeschlagen, um die Besucher zu empfangen und sie mit Mahlzeiten zu versorgen. Ù€berall ertÙnt aus Lautsprechern, Kassettenrekordern und von VideobÙ†ndern die TragÙdie Al-Husseins in traurigen Liedern und Geschichten, um der Ahlu Al-Bayt (der Familie des Propheten) zu gedenken,.
Die trauernden Frauen treffen sich in den HÙ†usern reicher, frommer oder angesehener Familien.
In jeder der drei religiÙsen StÙ†dten schlieÙƒen sich die Trauergruppen von einem bestimmten Stadtgebiet oder Berufsstand einem eigenen Trauerzug an.
Jede der Gruppen führt eine Fahne und ein Kasten mit sich, das so genannte "Alam Zenki" (abgeleitet vom persischen "Alam Jenki"– Fahne des Krieges). Der Kasten ist mit vertikal und horizontal angeordneten Schwertern und Schildern verziert. Es wiegt zwischen 110 und 500 Kilogramm und wird nur von einem starken Mann an der Spitze des Trauerzugs getragen. Wنhrend der ersten 10 Tage des Muharram marschieren sie durch die Straكen der meisten Stنdte und beenden hنufig ihren Umzug in der Nنhe von einem heiligen Platz.
Der 9. Muharram
Am Tag vor der Ashoura laufen Hunderttausende in Kerbala zusammen, um über die Nacht bis in den Morgen zu feiern. Einige rezitieren bestimmte Gebete aus den Büchern, die sie an den heiligen Plنtzen vorfinden oder selbst mitgebracht haben. Andere lesen den Koran im Mausoleum. Kinder und نltere Menschen folgen dem Trauerzug durch die schmalen Gassen. Sie ordnen sich in zwei Reihen ein und beobachten die vordere Gruppe mit ihren "Zanjil" (Peitschen). Dort befinden sich die jüngeren Glنubigen, die grüne, rote und weiكe Fahnen tragen. Sie beklagen den Tod Al-Husseins und schlagen sich mit ihren Peitschen aus Metall auf den Rücken, was sie nach jeder halben Drehung wiederholen.
Für ein entsprechendes GetÙse wird mit riesigen Trommeln und Kupfertellern gesorgt, die aneinander geschlagenen werden. Manche sitzen mit bunten Instrumenten aus Glas in StÙ†nden am Rand des Geschehens. Durch die rÙtliche Beleuchtung aus den GlasbehÙ†ltern, die bis unter die schwarz abgehÙ†ngte Decke reicht, geben sie ein sehr schÙnes Bild ab.
Wنhrend die Besucher unter groكen Schwierigkeiten durch die überfüllten Straكe ziehen, helfen junge Leute auf den Straكen mit Wasser aus, um das Klima ertrنglicher zu machen. Andere bereiten Mahlzeiten vor oder reichen Tee und Kuchen entlang der Straكen.
Zu vorgerückter Zeit steigt die Zahl der Besucher an und das Mausoleums wird immer heller erleuchtet. Ganze Familien schlafen auf dem Gehweg vor den GeschÙ†ften, die hÙ†ufig geschlossen haben, um dafür Platz zu schaffen. Die Frauen folgen dem Trauerzug und schlagen sich auf die Brust. Jeder Trauerzug besteht aus drei Gruppen. In jeder Gruppe trÙ†gt ein junger Mann eine Fahne an, auf der der Teil eines Gedichtes geschrieben steht. Die dahinter laufende Gruppe rezitiert es laut. Ab einem vorher bestimmten Ziel lassen sie die nachfolgende Gruppe singen. An jedem Ende von jeder Strophe lassen sie ihre HÙ†nde auf ihre Brust fallen. Als ob die Stadt nicht schlafen kÙnnte, laufen Hunderte von Trauerzügen bis in den Morgen des 10. Muharram durch die StraÙƒen von Kerbala.
Am Tag der Ashoura
Die Feier erreicht am Morgen des Ashoura-Fests ihren HÙhepunkt. Die Massen drÙ†ngen jetzt von jeder StraÙƒe und jedem GÙ†sschen in Richtung zu den 10 Türen des Mausoleums von Imam Hussein. Die meisten wollen an die Tür, die "Al-Kibla" (in Richtung von Mekka) genannt wird, um: "Wir werden Hussein nie vergessen" zu rufen. Gleichzeitig werden die eintreffenden Menschen herzlich empfangen, die sich vor zwei Tagen zu FuÙƒ von Bagdad und den nahe gelegenen Provinzen aus auf den Weg gemacht haben.
Die meisten besuchen die zwei Mausoleen von Imam Hussein und seinem Bruder Al-Abbas und bevÙlkern den Bereich zwischen den beiden Schreinen, der ungefÙ†hr 350 Quadratmeter umfasst.
Am 10. Muharram versammeln sich die Besucher im Innenhof des Mausoleums, um die Geschichte des Martyriums von Imam Hussein zu hÙren. Sie wird von einem professionellen GeschichtenerzÙ†hler vorgetragen und dauert fast zweieinhalb Stunden. Die Einwohner der Stadt bereiten "Harisah" Frühstück vor, eine berühmte Mahlzeit aus dem Südirak, die aus einer Mischung von Mais und Fleisch besteht. Sie wird über die ganze Nacht gekocht und erfordert die Mitarbeit vieler KÙche, da die Mischung stetig gerührt werden muss. Speziell für die Ashoura wird ein weiteres Gericht zubereitet, das aus Lamm- , Kalb- und Kamelfleisch mit Kichererbsen besteht.
Der bemerkenswerteste Marathon der Welt
Die bemerkenswerteste Zeremonie, die nur in Kerbala am Tag der Ashoura stattfindet, ist der "Rakdat Touirij" (der Durchlauf von Touirij). Touirij ist ein Gebiet in der NÙ†he von Kerbala, in dem sich die Menschen aus der Umgebung zum Mittagsgebet auf dem Platz versammeln, der "Kantarat Assalam" (Brücke des Friedens) genannt wird. Er liegt circa zwei Kilometer vom Imam Hussein Mausoleum enfernt. Der Imam, ein Nachkomme des Propheten, führt die Gruppe mit einem Pferd an. Die GlÙ†ubigen der Prozession schlagen auf ihre KÙpfe ein und schreien verschiedene Botschaften. Die Prozession endet im Mausoleum von Imam Abbas und begibt sich dann etwa 150 Meter weiter zum "Al Mokhajjam", dem Zeltlager. Ein Platz an dem die Familie von Imam Hussein und ihre AnhÙ†nger am 10. Muharram ihre Zelte aufschlugen. Einer spielt die Rolle von Shamr Ben Dhi Al-Jawshan, der einer der Führer der Armee von Amr Ben Sa'D war, die die Zelte Husseins und von seinen AnhÙ†ngern hier niederbrannte. Die Vorführung wird deshalb "Attashabih" (Nachstellung) genannt.
Die Menschen an der Spitze der Prozession rennen in Richtung der Zelte, um das Feuer auszulÙschen. Die Stimmung ist tief traurig und man kann die leidenden Schreie der Frauen aus der Nachbarschaft hÙren. Einige sammeln die Reste der Zelte ein, um sie als Erinnerung aufzubewahren.
Mehr als zwei Millionen Menschen nahmen an dieser Zusammenkunft im letzten Jahr teil. Gigantische Massen, die mehr als vier Stunden lang in ein Gebiet strÙmen, das kaum 350 Quadratmeter übersteigt.
Die Nacht vor dem Zehnten Tag
Nach dieser Zeremonie und mit der kommenden Nacht, werden alle Lichter in der Stadt ausgelÙscht, um dem Martyrium zu gedenken. Kerzen werden angezündet und in Prozessionen durch die Stadt getragen.
Der dritte Tag der Beerdigung des Imams
Die Zeremonie wird am 12. Muharram beendet, dem "dritten Tag des Imams" bzw. dem dritten Tag nach seinem Martyrium. Der Stamm von Banu Assad, dessen Vorfahren Imam Hussein und seine Nachfolger begruben und der heute noch in der Region lebt, kommt mit alten MÙ†nnern, Frauen und Kindern, die beklagen, was mit Imam Hussein geschah und ausrufen: "O Abbas sag uns, wo sollen wir Dich begraben?".
2005 besuchten in der Zeit vom 9. und 10. Muharram mehr als fünf Millionen Iraker die heilige Stadt Kerbala. Wieviele Besucher aus arabischen und muslimischen Lنndern werden es dann in Friedenszeiten ohne Sicherheitsbedenken sein? |